Der alte Kalauer »Planung ist das Ersetzen des Zufalls durch den Irrtum« aus der Zunft der Controller und Strategen fällt wohl unter die Rubrik »ironische Selbstkritik«. Er stammt aus einer Zeit, in der es noch relativ leicht war, strategisch ein Stück weit verlässlicher zu planen.
Zwar nahm auch damals schon die Vorhersehbarkeit umso rascher ab, je weiter man in die Zukunft plante, es war jedoch nicht notwendig, einige grundlegende Parameter zu hinterfragen: Finanzdienstleistungen kamen nur von Banken, die Rollen von Produzenten und Konsumenten waren klar verteilt, die Produkt- und Preistransparenz war weitgehend steuerbar und Kundenmeinungen waren eher isolierte Inseln.
Der rasante Paradigmenwechsel mit enormer Volatilitäts- und Komplexitätserhöhung erzwingt eine Veränderung im Denken der Unternehmen, um die eigene Überlebensfähigkeit sichern zu können. Damit steht auch die aktive und zielgerichtete Arbeit an der eigenen Unternehmenskultur an.
Ein nicht ganz offensichtliches, aber umso relevanteres Beispiel ist der Prozess der Strategieerstellung selbst. Wie kommt das Unternehmen zu seinen eigenen, tragfähigen Zukunftseinschätzungen?
Das Zitat »Culture eats strategy for breakfast« wird (obwohl nirgends konkret belegbar) Peter Drucker zugeschrieben. Es beschreibt den faktischen Primat der Kultur eines Unternehmens über die strategischen Intentionen der Führung. Vereinfacht gesagt: Die Umsetzung jeder noch so guten Strategie muss durch die »Realisierungsengstelle« der passenden Unternehmenskultur durch.
Der kanadische Professor Henry Mintzberg hat bereits vor 40 Jahren untersucht, warum es oft ein so großes Delta zwischen den beabsichtigten und den tatsächlich realisierten Strategien in Unternehmen gibt: Ein Teil der strategischen Absichten versickert einfach im Laufe eines Jahres irgendwo im System. Gleichzeitig bildet sich eine Vielzahl von ungeplanten »emergenten Mikrostrategien« im Unternehmen, die die tatsächliche Ausrichtung wie in einem Kräftewirkfeld insgesamt stark beeinflussen.
Je weniger die Mannschaft an einem Strang zieht, desto mehr Abweichung vom ursprünglichen Ziel ergibt sich dann klarerweise. In der heutigen Globalisierung und Digitalisierung, die parallel sowohl eine Fülle an Möglichkeiten als auch Bedrohungsszenarien bereithalten, hat jedoch ein Faktor eine ganz besondere Bedeutung für die strategische Entwicklung gewonnen: die ex-ante Filterwirkung der Unternehmenskultur. Sie bestimmt entscheidend,aber meist völlig unbemerkt darüber, welche Informationen überhaupt ins System gelassen werden bzw. welche gänzlich unerkannt bleiben.
Da geht es nicht zuletzt auch um eigentlich ganz triviale Dinge: Würde ein CEO auch einem Lehrling in seinem Unternehmen interessiert zuhören? Vielleicht hat der Lehrling in seiner Peer-Group Beobachtungen über ein geändertes Konsumverhalten bei einem bestimmten Produkt gemacht. Gibt es andererseits auch beim Lehrling genug Vertrauen, mit den oberen Etagen darüber reden zu wollen? Mintzberg definiert Strategie als »ein Muster in einem Strom von Entscheidungen«. In diesem Sinn kann man ein agiles Mindset und Arbeiten als eine sehr nützliche Antwort auf die neue Komplexität der Zeit sehen. Die Kultur entscheidet in der Tat darüber, ob sie an der Strategie zehrt (»culture eats strategy«) und zu einer Umsetzungsstörung wird oder ob sie sie sogar nährt (»culture feeds strategy«) und so zu einem »Enabler« wird.
Kommentar im Report(+)PLUS 09/2018