Welche Auswirkung die Veränderung der Industrie 4.0 auf Führungskräfte haben, lesen Sie in diesem Gastbeitrag von Herbert Strobl.
»Handle stets so, dass die Anzahl Deiner Wahlmöglichkeiten größer wird!« Diesen sogenannten »ethischen Imperativ« formulierte Heinz von Förster, der Gründungsvater der Kybernetik. Es gilt als eine Prämisse, damit Leadership gelingen kann. Inwieweit gilt das aber auch noch im Zeitalter von Industrie 4.0, wenn Maschinen untereinander kommunizieren und Produkte und Dienstleistungen anfangen, sich wie von selbst zu erschaffen?
Mehr denn je! Die Anforderungen an Führungskräfte werden sich gravierend verändern, aber sie werden keinesfalls geringer werden. Die komplizierte Welt, in der man im Prinzip die zugrunde liegenden Regeln noch überblicken und verstehen kann, wird rasant zu einer immer komplexeren Welt. Damit ist es aber für Führungskräfte, trotz des Anspruchs »etwas managen zu müssen«, einfach nicht mehr möglich, alle Zusammenhänge zu verstehen, geschweige denn alles steuern zu können.
Nach N. Luhmann besteht der Sinn von Führung darin, die Organisation arbeitsfähig und überlebensfähig zu erhalten, indem kontinuierlich Entscheidungen produziert werden. Entscheidungen sind auch das wichtigste Instrument, um mit Komplexität in Organisationen umgehen zu können, weil Zustände von Unsicherheit überwunden werden müssen (unabhängig davon, ob es nun ex post eine »gute« oder »schlechte« Entscheidung gewesen sein mag). Executive Coaching spielt so beim Umgehen mit Komplexität ganz natürlich eine der wichtigsten Rollen, weil »Ich-Stärke« zu einer der wenigen Inseln im steigenden Meer der komplexen Unsicherheit wird.
Für Coaching gibt es viele verschiedene Definitionen. Die Essenz liegt jedoch immer darin, den Klienten einen autonomen Perspektivenwechsels zu ermöglichen. In einem Beratungsprozess auf Augenhöhe ist der Coach Experte dafür Zusammenhänge in ein neues, manchmal auch ungewöhnliches Licht zu rücken und die Klienten hin zu veränderten Sichtweisen zu führen. Diese schaffen für das erörterte Thema oft neue Lösungskompetenz. »When you change the way you look at things the things you look at change« heißt es in einem amerikanischen Sprichwort so treffend. Es ist jedoch ausschließlich in der Ingerenz des Klienten zu entscheiden, welche der erarbeiteten Sichtweisen nun für ihn die passende Lösung für eine problematische Themenstellung darstellt. Klienten entscheiden dies völlig autonom nach entsprechender Prüfung.
Teil dieser Prüfung liegt aber nicht nur auf der konkreten Handlungsebene. Es geht vor allem auch um ein Er- und Hinterfragen der dahinter liegenden Haltungen und Werte. Diese sind für uns einerseits sinnstiftend, andererseits stellen sie einen Filtermechanismus dar, der entscheidet, was in unsere Welt überhaupt hinein darf. Um mein eigener Fels in der Brandung der Komplexitätsanforderungen sein zu können, muss ich zuerst mehr Klarheit über meine eigene Verfasstheit haben.
Unsere Gesellschaft hat eben die Schwelle in die vierte industrielle Ära überschritten und die Entwicklung beschleunigt raketenhaft. Nach der Mechanisierung Ende des 18. Jh. (z. B. mechanischer Webstuhl), der Elektrifizierung seit Beginn des 20 Jh. (z. B. Fließbänder) und der Automatisierung nach 1970 (z. B. Industrieroboter) stellt Industrie 4.0 die neue Herausforderung dar. Wenn Maschinen direkt miteinander kommunizieren, dann können wir uns die Vielfalt der Auswirkungen auf Themen wie Führung und Kooperation innerhalb und außerhalb der Organisation noch kaum vorstellen. Die Selbstreflexion in einem professionellen Coaching Prozess hilft ungemein trotzdem den roten Faden nicht vollständig zu verlieren. Es gilt mehr denn je: »multiply your options!«
Artikel in TRAiNiNG 06/2015