Schöner scheitern für Anfänger

Haben Sie heute vielleicht schon ein Stück Zotter-Schokolade gegessen oder ein Post-it verwendet? So unterschiedlich die beiden Dinge auch sein mögen, die Klammer für beides ist, dass »Scheitern« jeweils am Anfang ihres heutigen Erfolges stand.

»Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren«, schrieb der französische Nobelpreisträger André Gide. Reichlich Mut bewies Chocolatier Josef Zotter. Er hatte bereits eine Bruchlandung hingelegt, bevor er mit der Idee von handgeschöpfter Schokolade international reüssieren konnte. Heute betrachtet er das als notwendige Lernerfahrung.

 

3M war 1968 auf der Suche nach einem Superkleber. Ein Mitarbeiter erfand einen Kleber, der gar nicht festkleben wollte, sondern sich im Gegenteil völlig rückstandsfrei wieder ablösen ließ. Erst durch einen Chorleiter, der etliche Jahre später Notenblätter kurz fixieren wollte, kam es zu einem völligen Perspektivenwechsel. Das »gescheiterte « Kleberprojekt wurde schließlich ein Welterfolg. Was als »Scheitern« angesehen wird, ist also nicht zuletzt eine Frage des Blickwinkels.

 

In der Werbung werden Millionenbeträge ausgegeben, einzig mit dem Ziel, sich in unserem Unbewussten festzusetzen. Wenn ich durch ständige Wiederholung allmählich das Gefühl von »vertraut und bekannt« entwickle, werde ich das auch bald mit »verlässlich« und »gut« assoziieren. Im Zweifelsfall greife ich dann spontan nach dem mir innerlich geläufigeren Produkt, auch wenn das No-Name-Produkt gleich daneben im Regal vielleicht sogar aus der gleichen Fabrik kommt und nur die Hälfte kostet.

 

Es liegt in der genetischen Programmierung des Menschen, dass Vertrautes positiver besetzt ist als Unbekanntes. Erwachsene Menschen (im Gegensatz zu Jugendlichen, die erst dabei sind, sich selbst und ihre Position in der Welt zu finden) halten sich deshalb am liebsten in ihrer Komfortzone auf und versuchen tendenziell, ihre subjektive Risikozone eher zu meiden. Das ist durchaus rationales Verhalten, wird aber in Zeiten zunehmender Umgebungskomplexität immer problematischer. Die Wirtschafts- und Arbeitswelt wird immer weniger beständig und prognostizierbar. Sich an etwas einmal Erlerntem permanent anhalten zu wollen, ist zunehmend schwieriger, ja kontraproduktiv.

 

Digitalisierung und Globalisierung bringen Veränderung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und Tempo. Versuch und Irrtum werden unter diesen Umständen das Planerische mehr und mehr ersetzen (müssen), einfach weil nun wesentlich mehr Faktoren als früher das Spiel unvorhersehbar beeinflussen. Damit wird auch ein neuer Zugang zum – bei uns weitgehend tabuisierten – Thema »Scheitern« unerlässlich. Auf der persönlichen Ebene wird Resilienz zu einer Kerntugend in einer VUCA-Welt (das Akronym VUCA steht für volatile, uncertain, complex und ambiguous). Plakativ könnte man resilientes Verhalten mit »Aufstehen, Staub abklopfen, Krönchen richten und weiterschreiten« umschreiben.

 

Auf der Organisationsseite tut eine neue Haltung in Bezug auf Fehler dringend Not: Statt bei Fehlschlägen zuerst nach Schuldigen zu suchen, stellt sich die Frage, was man davon als Anregung für zukünftige Entwicklungsprozesse konkret mitnehmen kann, um beim nächsten Versuch nicht mehr zu scheitern. Henry Ford meinte dazu: »Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er

schon ist.«

Kommentar im Report(+)PLUS 01/2018

 

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Schöner Scheitern für Anfänger - Trial und Error sind notwendig in einer VUCA-Welt
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