Vom Coaching zum Sparring

»Sparring«? Wird da schon wieder ein neuer, bunter Hund durch das mittlerweile fast

unüberschaubare Coaching-Dorf gejagt? Eine neue Marketing-Masche? Mitnichten! 

Bei »Sparring« geht es eindeutig um professionelles Coaching, das immer einen autonomen Perspektivenwechsel ermöglichen möchte, damit der Klient neue Handlungsoptionen für sich selbst (er)schaffen kann. Nur er selbst bestimmt jeweils, welche Lösung letztlich als passend angesehen wird. Ein Coach ist reiner Prozesshelfer auf dem Weg dorthin. Je nach dem persönlichen und beruflichen Reifegrad einer Führungskraft sind die Rahmenumstände und die Wege zur passenden Lösung jedoch sehr unterschiedlich. Ein Berufseinsteiger wird andere Themen und Prioritäten haben und auch andere Lösungen entwickeln als jemand im mittleren Management. Und im Topmanagement gibt es nochmals ganz andere Gesetzmäßigkeiten. Der Coachingprozess und vor allem die Anforderungen an den Coach müssen dementsprechend differenziert und angepasst sein. Je mehr »senior« eine Führungskraft ist, desto mehr bekommt Coaching einen Drall und muss zu einem »Sparring« auf Augenhöhe werden, damit sich Wirksamkeit entfalten kann.

 

Vom Boxen zum Coaching

Der Begriff »Sparring« kommt ursprünglich aus dem Boxsport. Ein erfahrener Partner steigt mit

dem Wettkampfkandidaten in den Ring, um ihn zu fordern. Echt und real. Aber nur, um ihn damit

in seiner Entwicklung zu fördern, nicht um ihn zu besiegen! Dieses Fordern um zu fördern schlägt die Brücke vom Boxen zur persönlichen Beratungssituation im Coaching-Kontext. Auch hier muss der »Sparringpartner«, also der Coach, selbst erfahren in den Themen des Coachees sein. Gleichzeitig ist er neutraler Gesprächspartner, der selbst keine inhaltlichen Interessen in diesen Themen verfolgt.

 

Dabei gilt es jedoch, noch eine Unterscheidung einzuführen: Im mittleren Management stehen immer noch das Lösen von konkreten Problemen sowie die Verbesserung von bestimmten Fähigkeiten im Vordergrund. Das Coaching bzw. Sparring ist eher anlassbezogen. Dem gegenüber geht es in der obersten Führungsebene oft darum, den Mangel an verständigen und neutralen Gesprächspartnern auszugleichen, mit denen sich auch strategische Fragen reflektieren und Szenarien gleichsam im Trockendock durchspielen lassen. Das Sparring ist hier tendenziell eher »anlassfrei« (Wolfgang Looss). Lernen im Geheimen, ohne Gefahr eines Gesichtsverlustes, wird möglich. Die Luft und Vertrauen werden eben immer dünner, je weiter man nach oben kommt. Top-Executives wissen das.

 

Coaching-Symmetrie

Das Wissen um Prozesse im Unternehmen, um Strategien und um Politik im Großkonzern heißt nicht, dass der Coach im Sparring zum inhaltlichen Experten für die konkrete Fragestellung wird. Die Coaching-Symmetrie bleibt immer aufrecht: Der Klient ist und bleibt selbst der inhaltliche Experte, während der Coach Experte auf der Prozessebene bleibt. Der Coach behält seine »Haltung des Nichtwissens« grundsätzlich bei.

 

Der entstehende Nutzen für den Klienten liegt in der zielgerichteten Qualität der Fragen des Coachs. Fragen bleiben das wichtigste Werkzeug auch im Sparring mit Senior Executives. Sie sind gleichsam die Suchscheinwerfer, die der Coach auf den mentalen Landkarten des Klienten anknipst und so die Aufmerksamkeit des Klienten in eine bestimmte Richtung bringt. Der besondere Mehrwert im Sparring liegt darin, dass der Coach weiß, wie er den Lichtstrahl zielgerichtet in die für den Klienten nützlichste Richtung lenken kann. Und dieses Wissen sollte idealerweise aus seiner eigenen, praktischen Erfahrung kommen!

Ein kleines Beispiel: Angenommen ein Trupp von McKinsey-Beratern erscheint plötzlich in der Organisation des Klienten und im Coaching wird offenbar, dass das ganze Unternehmen in

Aufruhr ist. Wer das selbst schon einmal miterlebt hat, wird einfach konkretere Fragen stellen

können. Oder spiegelbildlich: Das Wissen um (wahre) Motive von Vorständen, warum gerade solche Berater engagiert wurden – sei es aus Effizienzgründen, ihren weltweiten Benchmarkingfähigkeiten bis hin zur reinen Legitimations-bzw. Feigenblattfunktion eines reputablen Namens – wird auch einem Sparring mit einem CEO schnell eine solide Basis geben können. Reine Fragen aus dem Coachinglehrbuch werden dem gegenüber wahrscheinlich bald in einem vorzeitigen Prozessende resultieren – seitens des CEO!

 

Die Akzeptanz des Sparringpartners als jemand, mit dem die Führungskraft auf gleicher Augen und Flughöhe arbeiten kann, ist essenziell für den Coachingerfolg auf dieser Ebene. Ein Executive

Coach ohne eigenständige Autorität und Erfahrung ist hier wenig wirkungsvoll. Gleichzeitig ist gerade das aber auch essenzieller Teil der »chemischen Passung«, die in jeglichem Coaching-Setting die notwendige (wenn auch noch nicht alleine hinreichende) Bedingung für einen Beratungserfolg ausmacht.

 

Empfehlungen vom Realitätenkellner

Coaches geben keine Ratschläge! Gilt diese unantastbare Regel auch im Sparring? Führungskräfte

der oberen Liga sind meist bereits durch eine Vielzahl von Trainings und Schulungen gegangen und haben zudem reichlich Führungspraxis. Oft verfügen sie über eine überaus rasche Auffassungsgabe und eine Kernkompetenz ist, dass sie Entscheidungen treffen (müssen), die andere für sie aufbereitet haben. Auch wenn ein wertschätzendes und vertrauenswürdiges Coachinggespräch von ihnen meist als willkommene und wohltuende Auszeit angesehen wird, so stehen auch hier Effizienz und Effektivität immer im Raum. Sie erwarten sich von einem Sparringpartner mehr als bloß die Rückmeldung von Beobachtungen.

Topmanager suchen nach einem Add-on dazu: Sie wollen im Sparring sehr bald wissen: »Was mache ich jetzt damit?« Eine Antwort à la »Was wollen Sie selbst?« ist in diesen Fällen nicht gut genug und wertet in ihren Augen nicht selten die Qualität der Beratung ab. In anderen Worten: Führungskräfte dieser Liga haben nahezu die Erwartung, im gemeinsamen Reflexionsprozess auch konkrete Empfehlungen vom Sparringpartner zu erhalten. Immerhin hat man sich ja bewusst einen Gesprächspartner auf Augenhöhe ausgesucht.

Weniger erfahrene Coaches können leicht an diesem subtilen Weg zwischen Skylla und Charybdis

scheitern: Einerseits das professionelle Bewusstsein, dass konkrete Empfehlungen der Autonomie des individuellen Perspektivenwechsels des Coachees eher abträglich sind. Zusätzlich werden Empfehlungen mit der höchstpersönlichen Realitätskonstruktion des Gesprächspartners selten wirklich vollständig kompatibel sein. Andererseits wird jede Art von Coaching nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn die Beratung von den Klienten selbst für hilfreich und gut empfunden wird. Ein Weg aus diesem Dilemma liegt wohl darin, dass der Sparringpartner zu einem »Realitätenkellner« (Gunther Schmidt) wird: Er bietet dem Klienten mehrere Lösungsmöglichkeiten gleichsam wie auf einem Tablett an und gibt zweckdienliche Hinweise zu den einzelnen Positionen. Letztlich liegt die Entscheidung über die konkrete Auswahl aber nur beim Klienten selbst. Es versteht sich von selbst, dass die Erstellung dessen, was auf dem Tablett überhaupt angeboten werden kann, letztlich wieder Ausfluss der Erfahrung des Sparringpartners ist.

Artikel in TRAiNiNG 06/2016

 

 

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